Fischen im Zwielicht

    Von Fabian Prettner Mitten in der EU, nur wenige Kilometer von Tourismushotspots wie Grado und Portorož entfernt, spielt sich ein bizarrer Streit ab: Slowenien und Kroatien sind sich über den Grenzverlauf in der Bucht von Piran nicht einig. Diese Auseinandersetzung beschäftigt nicht nur Diplomaten und Gerichte. Längst bekommen auch die Menschen in der Gegend die Folgen zu spüren.

    „Taucht die Polizei oft auf, wenn ihr hier seid?” – „Nein, sie kommt nicht oft. Sie kommt immer.” Matjaž Radin, trotz wenig Schlaf bisher gut gelaunt, verzieht ein wenig das Gesicht. „Sie kommen her, machen ein Foto und schicken uns dann ein Strafmandat.” Was wie die Geschichte eines Falschparkers klingt, ist in Wahrheit die direkte Folge eines internationalen Grenzstreits. Matjaž Radin ist Fischer aus Koper, einem von drei Fischereihäfen an der slowenischen Adriaküste. Die Bucht von Piran ist für ihn wie für fast alle slowenischen Fischer sein Fanggebiet, schließlich gehört nur ein kurzer Küstenstreifen zu Slowenien, den man bei klarer Sicht mit freiem Auge überblicken kann. Auf einer Tour mit seinem Kutter fährt Matjaž fast das ganze Gebiet bis zur kroatischen Grenze ab. Das heißt, bis zu dem Punkt, an dem nach Auffassung Sloweniens die Grenze verläuft. Kroatien zieht diese Grenze einige Kilometer weiter nordöstlich, das Gebiet wird von beiden Staaten beansprucht.

    Karte der Bucht. © OpenStreetMap-Mitwirkende (Lizenz)

    Wir begleiten den Fischer auf einer Tour, um uns selbst ein Bild von der Situation zu machen. Matjaž’ Kutter ankert zusammen mit einigen anderen an dem einzigen Pier für Fischerboote im Hafen von Koper. Es ist ein kleines Boot mit einer Seilwinde für das Schleppnetz und einem kleinen Kran, um den Fang an Bord zu ziehen. Um diese Zeit stehen hier nur ein paar Angler, eine Gruppe Segelschüler sticht in See. Uns begrüßt Igor Komadina von LAS ISTRE, einer halböffentlichen Organisation, die sich vor allem um die EU-Fördermittel für slowenische Fischer kümmert. Er begleitet uns, um für Matjaž zu übersetzen und ihn aufzuwecken. Der Fischer hat auf seinem zweiten Boot im Hafen übernachtet. Nachdem wir über ein schmales Brett an Bord balanciert sind, macht er die Leinen los und wirft den dröhnenden Motor an.

    Als wir den Hafen verlassen, zeigt uns Matjaž das GPS an Bord, das seine Ausfahrten aufzeichnet und eine Karte mit beiden Grenzverläufen zeigt. Bei einer normalen Ausfahrt fährt er oft mehrmals in das umstrittene Gebiet. Für jede dieser Grenzüberschreitungen verhängt Kroatien eine Strafe. Matjaž schaut kaum noch nach, wie viel er zahlen müsste. „Beim letzten Mal waren es etwa 200.000 Euro”, sagt er. Die Summe wirkt im ersten Moment überwältigend, bezahlen muss er sie derzeit allerdings nicht. Die slowenischen Fischer akzeptieren die Strafen nicht und bekommen von ihrer Regierung rechtliche Hilfe, um vor kroatischen Gerichten Einspruch zu erheben. Komadina steht diesem Vorgehen pessimistisch gegenüber. „Slowenien und Kroatien sind hier einfach unterschiedlicher Meinung”, sagt er. „Dieses Problem kann nur auf höherer Ebene gelöst werden.” Dennoch würde Matjaž bei einer Reise nach Kroatien wohl keine Probleme bekommen. Noch nicht. „Wenn sie mich vor Gericht stellen wollen, weil ich nicht zahlen will, kann ich nicht mehr hin.”

    Verwurzelter Streit

    Wie aber konnte es überhaupt so weit kommen? Zwischen Slowenien und Kroatien gibt es im Normalfall deutlich weniger Spannungen als zwischen den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Probleme mit der exakten Grenzziehung haben sie aber fast alle. Das liegt daran, dass unter Jugoslawien die genauen Grenzverläufe zwischen den Teilrepubliken nie exakt festgelegt wurden, da sie nicht sonderlich wichtig waren. Die Schwierigkeiten begannen erst nach der Unabhängigkeit der beiden Länder im Jahr 1991, als Kroatien die bis dahin kaum beachtete Seegrenze in der Mitte der Bucht von Piran zog.

    Komadina erklärt das Hauptproblem: “Der Unterschied zwischen den slowenischen und den kroatischen Fischern ist, dass die Kroaten nach der Unabhängigkeit einen langen Teil der Küste behalten haben, der slowenische Abschnitt von Piran bis zur italienischen Grenze, der für sie wegfiel, fällt fast nicht ins Gewicht. Die slowenischen Fischer haben dagegen die Fischgründe von der Piran-Bucht bis nach Albanien verloren, das ist schon einiges.”

    Aufgrund der kroatischen Grenzziehung in der Mitte der Bucht wurde der Platz für die slowenischen Fischer noch knapper, denn aufgrund der Nähe zu Italien und der Enge der nördlichen Adria hatte Slowenien plötzlich keinen Zugang zu internationalen Gewässern mehr. Das Land befürchtet zudem, deswegen durch Kroatien erpressbar zu sein: Handelsschiffe, die beispielsweise den wichtigen Güterhafen in Koper anlaufen wollen, müssen zuerst durch italienisches oder eben kroatisches Territorium fahren. Beide Länder könnten die Zufahrt blockieren. Eine Befürchtung, die sich bis jetzt allerdings nicht bewahrheitet hat.

    Igor Komadina erklärt – Foto: David Marousek

    Auf hoher See

    In Sichtweite der Häfen von Koper und Triest wirft Matjaž sein Schleppnetz aus. Sofort steigt uns der Geruch des letzten Fangs in die Nase, im Netz sind noch immer Reste von Fischen und kleine Seesterne. Ein paar hundert Meter entfernt wartet ein Containerschiff darauf, in den Frachthafen von Koper geschleppt zu werden. Heute wird Matjaž nur eine Runde fahren. Er war bis fünf Uhr morgens mit der Verarbeitung des Fangs vom Vortag beschäftigt und am Abend soll es Gewitter geben. Jetzt am Vormittag ist das Wetter aber noch ideal, leicht bedeckt, nicht zu warm und kaum Wellengang. Wir brechen so früh auf, da der Kutter für die knapp 20 Kilometer bis zur Grenze mit dem Netz im Schlepptau über drei Stunden braucht.

    Auf dem Weg sehen wir, hinter den Küstenwindungen versteckt, die slowenischen Fischereihäfen und vereinzelte Boote, die schon früher aufgebrochen sind. Unsere Begleiter wechseln sich am Steuer ab, Matjaž nutzt die Zeit, um sich Notizen zu machen oder zu telefonieren. Komadina beantwortet unsere Fragen während seiner gelegentlichen Rauchpausen. Kurz vor der umstrittenen Zone, der ‘Twilight Zone’ wie Komadina sie nennt, wird es dann spannend. Matjaž, gerade noch gemütlich auf seinem Stuhl, beginnt mit dem Fernglas den Horizont abzusuchen. Igor Komadina deutet auf zwei größere Boote mit slowenischen Fahnen, die in der Nähe ankern, und sagt: „Unsere Polizei.”

    Doch keine Entscheidung

    Die jahrelangen Streitigkeiten um das Gebiet, derentwegen Slowenien unter anderem auch Kroatiens Beitritt zur Europäischen Union blockierte, hätten schließlich von einem internationalen Schiedsgericht beigelegt werden sollen. Dieses wurde unter Mitwirkung der EU im Jahr 2009 eingesetzt und bestand aus drei von der Europäischen Union nominierten Experten und jeweils einem Richter aus Slowenien und Kroatien. Bis zur Entscheidung sollten acht Jahre vergehen. Im Jahr 2017 wurden Slowenien schließlich knapp drei Viertel der Bucht und ein Korridor in internationale Gewässer zugesprochen. Einige andere umstrittene Punkte an der Landgrenze fielen allerdings an Kroatien.

    Slowenien setzt den Spruch seitdem um. Kroatien hatte sich aber schon 2015 aus dem Verfahren zurückgezogen, nachdem unerlaubte Absprachen zwischen dem slowenischen Richter und einer Diplomatin der Regierung in Ljubljana bekannt worden waren. Die Richter aus Slowenien und Kroatien wurden daraufhin durch internationale Experten ersetzt. Die kroatische Regierung beharrt jedoch darauf, dass das Schiedsgericht sein Mandat verloren habe.

    Ein weiteres Problem für slowenische Fischer wie Matjaž ist, dass die Kollegen aus Kroatien den umstrittenen Bereich ebenfalls noch nutzen. Sie werden wiederum von der slowenischen Polizei abgemahnt. Der verfügbare Platz ist begrenzt und es kommt zu Schwierigkeiten. Matjaž und Komadina erklären das Problem: “Die Netze, die wir in der Bucht aushängen, können bis zu 6.000 Euro kosten und müssen instand gehalten werden. Wenn die Kroaten hier fischen, nehmen sie unsere Netze weg oder zerstören sie. Dafür bekommen wir keinen Ersatz. Außerdem verlieren wir dadurch wertvolle Zeit in der Fangsaison für bestimmte Fische. Auch das ist eine Menge verlorenes Geld.” 

    Inzwischen sind wir mitten in der Bucht von Piran, Matjaž macht sich nach einem letzten Blick auf das Radar bereit, den Fang an Bord zu ziehen. In unserer Nähe befinden sich noch zwei andere Fischkutter aus Slowenien. Matjaž bereitet sich gerade darauf vor, den Fang an Bord zu holen, als Komadina auf ein weißes Schnellboot deutet. Der Fischer hält inne und wirft einen langen, resignierten Blick auf die Neuankömmlinge. „Die kroatische Polizei,” erklärt Komadina.

    Die Polizei kommt! – Foto: David Marousek

    Wir werden jetzt Zeugen eines bizarren Schauspiels, das für die Fischer von beiden Seiten der Grenze zum Alltag gehört. Die kroatische Polizei nimmt Kurs in unsere Richtung, gleichzeitig startet das Boot der slowenischen Polizei und geht auf Abfangkurs. Eine Weile verharrt das Boot, dann kommt es auf uns zu. Wir haben ein mulmiges Gefühl, auch wenn unsere Begleiter nicht sehr besorgt wirken. Als die Schnellboote uns erreichen, gibt es keine Kommunikation, keine Warnungen oder Drohungen. Die Kroaten machen ein Foto, die Slowenen versuchen, ihnen im Weg zu sein, das wiederholt sich immer wieder. „Bizarr”, meinen wir. „Bizarr”, stimmt uns Komadina zu. Matjaž schüttelt nur den Kopf und holt mit seiner Winde das Netz ein. Sofort ist unser Kutter von einem kreischenden Schwarm Möwen umgeben, die Ausbeute der Fahrt ist eine Kiste voll mit Fisch und Oktopussen.

    Fischer bei der Arbeit – Foto: David Marousek

    Ein (schlechter) Krimi

    Im April 2019 wurde der Streit um das Schiedsgericht noch einmal um eine skurrile Anekdote reicher und wuchs sich zu einer zwischenstaatlichen Spionageaffäre aus. Die Informationen über die illegalen Absprachen zwischen dem slowenischen Richter und der Diplomatin waren 2015 in der kroatischen Zeitung Večernji list erschienen, ihre Herkunft war lange unklar. Der reichweitenstarke slowenische Privat-Sender POP TV veröffentlichte nun jedoch einen Bericht, wonach die Gespräche vom kroatischen Geheimdienst abgehört worden wären.

    Jure Tepina, Chefredakteur des Onlineportals von POP TV, 24ur.com, war an der Recherche beteiligt. Er empfängt uns in seinem Büro am Stadtrand von Ljubljana, durch eine Tür getrennt vom fast leeren Großraumbüro der Redaktion. Am folgenden Tag ist Sloweniens Nationalfeiertag und viele MitarbeiterInnen haben Urlaub, aber Tepina hat trotzdem Zeit für uns. Er ist gut gelaunt, spricht ein schnelles, deutliches Englisch und zeigt uns erstmal seinen Arbeitsplatz. Prominent platziert hat er einen ein Fanschal des Fußballklubs Olimpija Ljubljana: ein ironisches Geschenk der Kollegen, denn Tepina kommt aus Maribor.

    Schöne Bürodekoration? – Foto: David Marousek

    Als er beginnt von seiner Arbeit zu erzählen, wird er deutlich ernster. „Als die illegalen Absprachen damals veröffentlicht wurden, war die Frage, woher die Informationen kamen, erst einmal zweitrangig,” erzählt er. „Wir hatten auch nicht gleich die Kroaten in Verdacht. Wir glaubten nicht, dass sie über die technischen Möglichkeiten verfügten, um so ein wichtiges Gespräch abzuhören. Schließlich kam jedoch heraus, dass der Richter und die Diplomatin über Festnetz telefoniert hatten. Das hätte jedes Kind anzapfen können.” Besonders ungeschickt sei das vor allem gewesen, weil hochrangige Diplomaten mit Spionage rechnen müssten und eigentlich sichere Kanäle zur Verfügung hätten.

    Die prompte Reaktion der kroatischen Regierung hätte außerdem darauf schließen lassen, dass sie im Voraus informiert gewesen war. Den entscheidenden Hinweis auf die Drahtzieher lieferte ihnen der bosnische Journalist Avdo Avdić vom Onlinemagazin Žurnal.info. Dieser war bei einer Recherche zu einem anderen Thema auf den Namen eines kroatischen Geheimdienstmitarbeiters, Davor ‘Mehaničar’ Franić – also Davor der ‘Mechaniker’ – gestoßen. Dieser soll für die Abhöraktion gegen Slowenien gelobt und sogar befördert worden sein.

    Tepina am Arbeitsplatz – Foto: David Marousek

    Die letzte Bestätigung, so Tepina, sei jedoch ein Anruf bei seiner Kollegin Tjaša Slokar, Chefredakteurin von POP TVs Nachrichtenabteilung, gewesen. „Nur wir beide und der Kollege aus Bosnien wussten von der Recherche und haben nicht offen darüber gesprochen. Am Abend bevor wir den Artikel herausbrachten, bekam ich einen Anruf von Tjaša, dass sie davor gewarnt worden wäre, den Namen Davor ‘Mehaničar’ zu veröffentlichen,” sagt er. „Ich glaube, unsere Gespräche mit Avdo Avdić wurden abgehört und die kroatische Seite war ernsthaft besorgt. Wir sind danach zu unserer Rechtsabteilung gegangen, haben uns noch einmal grünes Licht geholt und den Artikel ein paar Stunden verspätet veröffentlicht.” Das sei aber noch nicht alles gewesen. „Nach der heftigen Reaktion haben wir auch beschlossen, die Geschichte im Fernsehen zu bringen, was ursprünglich nicht geplant war. Dadurch wurde sie größer als wir dachten,” erzählt er. 

    (K)ein Ende in Sicht

    In direkter Folge auf die Veröffentlichung kam es auch zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Slowenien und Kroatien. So zog Slowenien unter anderem seinen Botschafter ab. Kroatien dementiert dagegen weiterhin jede Verbindung zur Abhöraktion. Um in dem andauernden Streit eine Lösung zu finden, sieht Tepina nur eine Möglichkeit: das Recht. „Die Macht des Gesetzes ist das Grundprinzip der Europäischen Union. Wir haben ausgemacht, nach diesen Regeln zu leben und Handel zu treiben. Das hält uns zusammen.”

    Tintenfisch zum Mittagessen – Foto: David Marousek

    Eine Ansicht, die Igor Komadina teilt. „Es braucht eine europäische Entscheidung, um das alles zu beenden, egal, wie diese aussieht.” Die kann sich allerdings noch hinziehen. Erst dieses Jahr hat Slowenien vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Im November soll es die Entscheidung geben, ob das Gericht überhaupt zuständig ist.

    Als wir über die schmale Planke vom Kutter zurück zum Steg balancieren, fühlt es sich ein bisschen wie eine Rückkehr in die normale Welt an. Den Fischern in der Bucht von Piran bleibt jedoch nichts anderes übrig, als ihre kaputten Netze zu flicken und auf eine Lösung zu warten. „Es sind nicht die Politiker, für die es ein Problem gibt”, sagt Komadina zum Abschied. „Es sind die Menschen hier.”

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