Slowenien ist das nachhaltigste Land der Welt – zumindest im Ranking der niederländischen NGO Green Destinations aus dem Jahr 2016. Tatsächlich gibt es in dem kleinen Land eine Vielzahl an kleinen und innovativen Umweltprojekten. Ein Schubs ins Rampenlicht für jene, die Slowenien wirklich grün denken.
von Claudia Schröder und Constanze Seidl
Moja Mura – Meine Mur
Im kleinen Ort Gornja Radgona steht auf einer Anhöhe das Schloss Oberradkersburg. Seit dem 12. Jahrhundert wechselte das Schloss nicht nur Besitzer, sondern auch seinen Verwendungszweck mehrere Male: Es diente unter anderem als Schule, Altersheim oder psychiatrische Anstalt. Dann ist es jahrelang verfallen, bis es 1992 an einen Schweizer Unternehmer verpachtet wurde und seitdem in neuem Glanz erstrahlt. Von der Anhöhe des Schlosses sieht der Umweltaktivist Samo Tuš jeden Tag direkt auf die Mur, die sich gleich einem grünen Band durch die Landschaft schlängelt. Sobald man ihn auf den Fluss anspricht, ist er Feuer und Flamme. Stolz trägt er einen leuchtend gelben Ansteckbutton mit der slowenischsprachigen Aufschrift “Rettet die Mur – spart mit Energie.” Als Obmann der Umweltorganisation Moja Mura (“Meine Mur”) steckt er jede freie Minute in den Kampf um den Schutz der Mur.

Vor zehn Jahren haben sich neun Vereine zusammengeschlossen, mittlerweile beteiligen sich ganze 30 mit insgesamt etwa 3 000 Mitgliedern. Das Museum des Wahnsinns ist ebenso Mitglied wie der Rafting Club Drau-Mur oder das Jugend Center Prlekije. Einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder bei einer großen Versammlung und planen weitere Aktionen. Sie organisieren zum Beispiel Petitionen, Demonstrationen und Teilnahmen bei Konferenzen und Sitzungen in unterschiedlichen Ministerien. „Wir setzen uns dafür ein, dass entlang des Flusses keine Veränderungen vorgenommen werden, die das lokale Ökosystem belasten”, erzählt Tuš bei einem Spaziergang entlang des Murufers. Die Organisation konnte bereits einige Erfolge verbuchen.
So gelang es im Jahr 2018, den Bau des Hrastje-Mota Murkraftwerks zu verhindern. Zwei unabhängige Studien bestätigten dessen fatale Auswirkungen auf die Umwelt. Sowohl Auwälder, Fischbestände als auch der natürliche Grundwasserkörper würden negativ beeinflusst. Zwei weitere unabhängige Gutachten belegten darüber hinaus, dass sogar die Auen- und Flussgebiete in den Nachbarländern Österreich, Kroatien und Ungarn betroffen wären. Tuš kritisiert an den Kraftwerken auch, dass ihre Energieproduktion ohnehin nicht ausreichend wäre, da sie lediglich 0,5 Prozent des slowenischen Bedarfs decken würden. Als Alternative könne man etwa zehn kleinere Mühlen entlang des Flusses aufstellen, die gleich viel Energie produzieren könnten, ohne derart radikal in die Natur einzugreifen.

Die Mur ist nicht nur ein wichtiger Teil des lokalen Ökosystems, sondern hat – wie auch das Grazer Murkraftwerk – einen hohen emotionalen Stellenwert für die Bevölkerung. „Die Menschen haben viele Erinnerungen, die sie mit der Mur verbinden. Sie lernen in der Mur schwimmen oder küssen sich hier zum ersten Mal”, erzählt Tuš, während sein Blick über die sich kräuselnden Wellen der Mur schweift. Der 66-Jährige erinnert sich gut an seine Kindheit zurück, in der er noch aus seinem heimatlichen Bach getrunken hat. Das wäre aufgrund der Verschmutzung heute undenkbar.
„Was haben wir dieser Welt in meiner Lebenszeit alles angetan? Das kann man nicht verstehen, das ist total verrückt.” Ob Slowenien sich also den Titel des nachhaltigsten Landes der Welt wirklich verdient, kann Tuš nicht beantworten. Er ist aber durchaus der Meinung, dass Slowenien jetzt noch grün ist. Seine Sorge ist vielmehr, dass sich das in Zukunft ändern wird. Die Bedrohungen sieht er dabei sowohl im überwiegend kapitalistischen Denken in der Gesellschaft als auch im mangelnden Interesse der Menschen: „Alle schauen nur auf ihr Handy, wollen das neueste Auto. Die Folgen davon interessieren keinen.”
Mladi za podnebno pravičnost – Jugend für Klimagerechtigkeit
Diese Aussage lässt sich natürlich bestreiten. Dank Greta Thunberg gehen seit November 2018 jeden Freitag weltweit Tausende von SchülerInnen auf die Straßen, um ihrer Sorge über den Klimawandel Ausdruck zu verleihen. Auch in Ljubljana gibt es die Bewegung Mladi za podnebno pravičnost (“Jugend für Klimagerechtigkeit”), die jeden Freitag protestiert.
Der Trg republike in Ljubljana ist an diesem Freitag im Frühsommer allerdings fast menschenleer. Nur etwa 15 junge Menschen diskutieren im Schatten der riesigen Hochhäuser eifrig, wo sie am besten ihren großen Perserteppich platzieren könnten. Schnell finden sie den perfekten Platz und setzen sich dort zusammen. Sie stellen ein paar Bücher in hölzerne Obstkisten. Für Passanten ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, was hier passiert. Erst als sie ihre bunt bemalten Schilder mit Aufschriften wie “Stop CO2” oder “Brez narave ni prihodnosti (ohne Natur gibt es keine Zukunft)” hervorholen, wird klar, dass es sich hierbei um eine Klimademo handelt.

Die 27-jährige Lena Penšek studiert Environmental and Urban Studies am European Center for Peace Development Ljubljana und ist heute auch Teil dieser Gruppe. Diese war aber nicht immer so klein wie am heutigen Tag. Sie erzählt, dass bei der ersten Demonstration, die am 15. März 2019 stattfand, 10 000 Menschen in Ljubljana auf der Straße waren. Mit der Zeit wurde diese Zahl aber immer kleiner. Das läge vor allem daran, dass es organisatorische Schwierigkeiten gab: „Wir machen das alles ehrenamtlich. Und die Leute haben manchmal mehr und manchmal weniger Zeit.”

Ihr Heimatland stuft die Studentin nur bedingt als grün ein. Die Einstellung vieler BürgerInnen sei zwar “grün” und viele fänden auch Gefallen an Themen wie Zero-Waste. Im selben Atemzug gibt sie aber auch zu, dass ihr Bild der Gesellschaft verzerrt sein könnte: „Ich lebe in einer Blase. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, denken so wie ich.” Ganz unabhängig davon seien die größten Probleme nicht von einzelnen Menschen, sondern von der Regierung zu bewältigen – Industrie, fossile Brennstoffe und Verkehr. Als Beispiel führt sie die katastrophale Infrastruktur des öffentlichen Verkehrsnetzes in Slowenien an. Es sei laut ihr unmöglich, innerhalb des Landes ohne Auto zu reisen: „In Ljubljana ist es vielleicht ein bisschen besser, aber auch nicht gut. Überall sonst ist es noch schlimmer.” Das zu verbessern, sei eindeutig Aufgabe der Politik.
Lista kolesarjev in pešcev – Liste der Radfahrer und Fußgänger
In Maribor nimmt sich eine kleine Partei des Verkehrsproblems an. Die Lista kolesarjev in pešcev (“Liste der Radfahrer und Fußgänger”) besteht seit 2014 und ist seither auch im Stadtrat vertreten. Mittlerweile haben sie auch in Ljubljana eine Liste aufgebaut. Ihr Ziel ist es, die Bedingungen für Radfahrer und Fußgänger im öffentlichen Verkehr im Raum Maribor zu verbessern.
Andrej Žižek ist wie die meisten Mitglieder Architekt und sowohl in der Partei als auch der NGO Mariborska Kolesarksa Mreža (Mariborer Radfahrer Netzwerk) aktiv. Er teilt im schattigen, mit Gras bewachsenen Innenhof der NGO einen Plan aus, der auf den ersten Blick wie die Karte eines U-Bahn-Systems aussieht. Doch dabei handelt es sich um ein geplantes Netzwerk aus Fahrradwegen, das die ganze Stadt abdeckt.

Dieses Radwege-Netz wäre für Žižek die ideale Lösung für Maribor. Denn die Stadt ist klein und sehr flach. Dennoch ist die Verkehrsbelastung durch Autos extrem hoch. „Die Leute, die in Maribor mit dem Auto fahren, fahren maximal drei Kilometer. Oftmals auch nur einen. Das ist ein Wahnsinn”, meint er. Derzeit sind die Radwege in Maribor unübersichtlich. Sie bestehen aus drei gescheiterten Lösungsversuchen, die nicht effektiv miteinander verbunden wurden. Die Ergebnisse sind fehlende baulich getrennte Radwege, kein Bikesharing und verwirrende Straßenspuren, bei denen unklar ist, von wem sie genutzt werden dürfen. Daher sind nicht allzu viele Menschen mit dem Fahrrad unterwegs.
Dieses Netz soll nun saniert und ausgebaut werden, um mehr BewohnerInnen zum Radfahren zu bewegen. Von Seiten der AutofahrerInnen gab es durchaus Widerstand, doch der Stadtrat beschloss, dass Änderungen notwendig sind. Die alte Strai-Most-Brücke im Zentrum etwa soll nun saniert und für Kraftfahrzeuge dauerhaft gesperrt werden, um den Radfahrern und Fußgängern mehr Raum und Sicherheit zu bieten.

Die Diskussion über Sloweniens Nachhaltigkeit empfindet Žižek als sehr von der Europäischen Union beeinflusst. Er meint, es gäbe eine Vision von Nachhaltigkeit, die seitens der EU beworben und auch finanziell unterstützt wird und Slowenien richte sich stark danach aus. Auszeichnungen von Labels wie Green Destinations müsse man aber kritisch betrachten: „Zum einen gibt es viele gute Ideen, zum anderen haben wir unglaublich teure Projekte, die sich überhaupt nicht rentieren. Beispielsweise werden neue Züge gekauft, aber die Infrastruktur ist veraltet”, meint Žižek. „Da fragt man sich, wie ist man im echten Sinne grün?”
Grün sein, das geht auf verschiedenste Art und Weise. Zurück am Murufer zwitschern die Vögel, Bienen fliegen von Blume zu Blume, während das Wasser kleine Wellen schlägt. Es wird klar, warum es wichtig ist, für die Umwelt zu kämpfen. Ob für eine Kleinstadt, einen Fluss oder die globale Klimakrise – Samo Tuš von Moja Mura meint: „Jeder muss in seiner Ecke etwas besser machen, damit die Umwelt nachhaltig geschützt wird.”